Kennen Sie den Begriff der Bogenkarriere?
In der Schweiz ist er geläufiger als hierzulande. Im Gegensatz zu einer traditionellen Karriere, die sich linear immer aufwärts oder schlechtestenfalls seitwärts entwickelt und mit Eintritt des Rentenalters einfach endet, sieht das Konzept der Bogenkarriere vor, dass Führungskräfte ab etwa 50 oder 55 Jahren sukzessive ihr Arbeitspensum reduzieren können und sich nicht immer weiter in der Hierarchie nach oben entwickeln müssen. Sie verlassen ihre Führungsposition oder reduzieren ihren Verantwortungsbereich, kümmern sich z.B. um den Führungsnachwuchs im Unternehmen – und reduzieren ihr Gehalt entsprechend. In der Schweiz gibt es Unternehmen, bei denen eine Führungskraft bereits beim Eintritt unterschreibt, dass sie ab 60 Jahren bis zum Übergang in den Ruhestand in einer beratenden Rolle arbeiten wird, sei es im Unternehmen selbst oder einem verbundenen Beratungsunternehmen.
Die Bogenkarriere hat für die Führungskraft gleich mehrere Vorteile: Häufig ist der Eintritt ins Rentenalter mit Ängsten und Sorgen verbunden. Bin ich noch etwas wert, wenn ich nicht mehr arbeite? Welchen Sinn kann ich meinem neuen Lebensabschnitt geben? Sich langsam heranzutasten und Zeit zu haben, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, kann Ängste reduzieren. Zudem muss auf diese Art und Weise niemand fürchten, mit der Rente komplett ausgebrannt zu sein, oder aufgrund gesundheitlicher Probleme früher in Rente gehen zu müssen. Außerdem bietet sich die Gelegenheit, sich durch das Mehr an Freizeit gezielt auf die Zeit nach dem Übergang in den Ruhestand vorzubereiten.
Gleichzeitig macht ein früherer, teilweiser Rückzug Platz für jüngere Kräfte, die mit frischen Ideen das Unternehmen voranbringen können – vorausgesetzt man lässt sie. Ältere Mitarbeitende können weiterhin als Berater und Sparringspartner fungieren und so ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben, gerade in der heutigen Zeit ein großer Schatz, den es zu heben gilt. Projekte begleiten sie bis zu ihrem Abschluss, fangen aber nicht kurz vor dem Ruhestand noch etwas Neues an.
Die demographische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird den Trend ggf. verstärken: Wenn es mittelfristig nicht mehr genug Nachwuchsführungskräfte gibt, wird man gar nicht daran vorbeikommen, verstärkt auf die Arbeitskraft und Erfahrung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im fortgeschrittenen Alter zurückzugreifen.
Dazu bedarf es einer grundlegenden Veränderung im Mindset, die einem Paradigmenwechsel gleichkommt – in den Unternehmen, aber auch gesellschaftlich: Es darf nicht länger ein Makel sein, wenn es nicht mehr steil die Karriereleiter hinaufgeht, wenn der Verantwortungsbereich reduziert wird – und wenn sich in der Folge auch die Vergütung entsprechend reduziert.
Wichtig für die Umsetzung ist ein entsprechendes Konzept: Die Mitarbeitenden sollten dabei stets im Mittelpunkt stehen. Ein individueller, auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittener Ansatz zahlt sich auch für das Unternehmen aus. Wer bis zum Ruhestand in seiner Position bleiben möchte, sollte auch das tun können. Druck ist hier fehl am Platz. Zudem sollte die finanzielle Einsparung, die eine Bogenkarriere für das Unternehmen mit sich bringen kann, nicht im Vordergrund stehen.